Die Einführung von ERP-Projekten gehören sicher zu den Supertankern der Digitalisierung. Sie stellen jedes Unternehmen – gleich welcher Größe – vor eine große Herausforderung und ein beträchtliches Risiko. Der finanzielle Aufwand ist beträchtlich und mögliche Einschränkungen in Produktion und Lieferfähigkeit eine zusätzliche Gefahr. Die größte Gefahr lauert jedoch nicht in der Technologie, sondern bei der Akzeptanz der Mitarbeiter. Change Management adressiert genau dieses Risiko.
ERP-Projekte betreffen viele Unternehmensbereiche und verbundene Systeme
Die enge Verzahnung der Prozesse ist ein wesentlicher Grund für die Komplexität von ERP-Projekten. Durch die Einführung oder ein Upgrade werden viele Kernprozesse berührt: Finanzen, Logistik, Produktion, Planung, etc. sind klassische Bereiche einer ERP-Einführung. Damit sind bei der Einführung viele Personen beteiligt – Projektmanager sprechen dann von einem komplexen Stakeholdermanagement. Diese Stakeholder sollte der Projektmanager kennen und während der gesamten Projektlaufzeit aktiv einbinden. Bei der Bewertung hilft die Stakeholder-Matrix.
Ebenso wichtig wie der Blick auf die unterschiedlichen Akteure ist das Verständnis der betroffenen Schnittstellen. ERP-Systeme bilden heute das Zentrum einer vernetzten Systemlandschaft. Daher ist es wichtig, diese frühzeitig zu erkennen und in der Projektplanung zu berücksichtigen. Eine erste Schnittstellenbeschreibung sollte zumindest Quelle, Ziel, Verbindungsart, Timing (synchron, geplant, etc.) und Ansprechpartner beinhalten.
Drei typische Gründe für das Scheitern von ERP-Projekten sind
- Andauernd neue Anforderungen während der Projektlaufzeit,
- Zu viele Wünsche auf einmal und
- unklare Kommunikation zwischen den Fachbereichen und IT.
Der Versuch, diesen Risiken technisch zu begegnen, wird scheitern. Eine ERP-Einführung ist, wie jedes andere Digitalisierungsprojekt, eine Kombination aus
- funktionierender Technik,
- effizienten Prozessen,
- einer wirksamen Organisation und
- befähigten Anwendern (Mindset und Skillset).
Technische Risiken verkleinern mit Standardisierung und Cloud-Angeboten
Technische Risiken können durch die Verwendung von Standards minimiert werden. Nach wie vor gilt: Der Standardprozess ist durch den Softwareanbieter gut getestet und bildet häufig einen verbreiteten Industriestandard ab. Jede Anpassung, jede Eigenentwicklung und jedes Customizing kostet zusätzlich Aufwand für Einrichtung, Test und Wartung. Gerade der dritte Faktor wird von Neukunden häufig unterschätzt. Kostet eine Anpassung an einer Standardsoftware heute 10.000 Euro dann können pauschal 20% als jährlicher Wartungsaufwand hierfür bereitgestellt werden. Bei jedem Update und bei jeder Anpassung muss die kundenindividuelle Erweiterung zusätzlich betrachtet werden. Besser ist es, bei Standardprozessen die Vorkonfiguration des Herstellers zu übernehmen.
Eine Anpassung lohnt sich immer dann, wenn sich das Unternehmen durch die eigene Lösung vom Wettbewerb differentiert. Kann beispielsweise durch eine Eigenentwicklung die Lieferzeit im Vergleich zum direkten Wettbewerb unterboten werden, ist sie ihr Geld möglicherweise wert.
Cloud-Lösungen geben ohnehin weniger Möglichkeiten für individuelle Anpassungen. Sind für Cloud-Systeme eigene Erweiterungen notwendig, so müssen diese update-fähig an die Standardprozesse angedockt werden.
Mindset entscheidet über Akzeptanz
Für die Akzeptanz von Standardprozessen und die notwendigen Anpassungen an den bestehenden Abläufen braucht es das richtige Mindset. Fachbereiche und Keyuser müssen vor der Einführung abgeholt und geschult werden. Entscheider müssen fähig sein, die Auswirkungen von Anpassungen besser einzuschätzen.
In dieser Vor-Phase werden die Grundlagen für die Harmonisierung und Vereinfachung von Prozessen geschaffen. Damit legt das Projektteam das Fundament für die erfolgreiche Einführung.
Elemente der Vor-Phase sind:
- Harmonisierung von Prozessen,
- Aufräumen von Stammdaten,
- Analyse der Organisationsstruktur (auf Eignung zu den Prozessen),
- Aufnahme der technischen Schnittstellen,
- Aufbau und Training der Projektorganisation,
- Mindset für neue Softwarelösung schaffen und
- Entscheidungsfähigkeit herstellen.
Diese Aktivitäten sind gleichsam der Beginn des Transformations-Managements.
Transformation ist mehr als Change
Beim Begriff Change-Management denken viele daran, den Umgang mit der Veränderung erträglicher zu machen. Frei nach dem Motto „die Veränderung kommt sowieso – wie können wir es den Akteuren schonend beibringen?“. Der Begriff wird dem Kern der Aufgabe nicht gerecht.
Bei neuen Softwaresystemen muss das Unternehmen eine Transformation durchlaufen, um von den neuen Möglichkeiten profitieren zu können. Bei einer Transformation bewegen wir uns nicht nur von A nach B, sondern verändern unsere Gestalt, um neue Gebiete zu erreichen. Ähnlich einem Schmetterling, der nach seinem Transformationsprozess von der Raupe zum Schmetterling neue Regionen erreichen kann. Für Anwender, Prozesse und Organisation bedeutet das einen tiefgreifenden Veränderungsprozess. Dieser lässt sich für ERP-Projekte in drei wesentliche Phasen gliedern:
- Vor-Phase: Vorbereitung von Strukturen, Harmonisierung und Analyse;
- Implementierung: Bereitstellung der neuen Technologie, Design der neuen Prozesse und Kommunikation der Ziele;
- Go-Live: Befähigung und Begleitung der Anwender in den neuen Prozessen;
Diese Aktivitäten finden begleitend zur technischen Implementierung statt und unterstützen den Mehrwert durch die neue Software.
Enablement: Anwender befähigen
Die wichtigsten Ziele des Transformations-Managements sind es die Anwender auf die Veränderung vorzubereiten und zu befähigen. Dabei spielen Aktivitäten zur Kommunikation eine wesentliche Rolle. Damit schaffen wir Transparenz und Orientierung. Je nach Projektphase gliedern sich die Methoden in drei Bereiche:
- Informieren: Informieren über das Projekt, die anstehende Veränderung und das gemeinsame Ziel;
- Dialog: Dialog mit den betroffenen Anwendern über ihre persönliche Situation und die Auswirkungen durch das Projekt auf ihre Arbeit;
- Unterstützung: Enablement der Anwender für die neue Welt durch Schulungen, Trainings und kollegiale Konzepte.
Die Maßnahmen in diesen drei Bereichen werden je nach Projektphase und Zielgruppe geplant, umgesetzt, überwacht und fortlaufend angepasst.
Effekt messen – Zähneputzen zweifelt auch niemand an
Viele Untersuchungen bestätigen den Nutzen von begleitenden Change Maßnahmen in Digitalisierungsprojekten. Natürlich können die Aufwände in den ERP-Einführungsprojekten eingespart werden – das wäre in etwa so, als würde man auf das tägliche Zähneputzen verzichten. Ähnlich wie bei den Zähnen zeigt sich häuft „Vorsorge ist besser als Nachsorge“. Durch frühzeitige Maßnahmen lässt sich die Akzeptanz von neuen Lösungen schneller erreichen. Damit steigt die Produktivität und Risiken bei der Einführung lassen sich Reduzieren.
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